Wilhelm Jaeger

1976

Wilhelm Jaegers raumbezogene Bilderwelt


Jede Beschäftigung mit künstlerischen Produkten müsste von der Frage ausgehen: Was liegt wirklich vor? Nicht flüchtiges Sehen oder Hinsehen ist gefordert, sondern vertieftes Schauen. Aus der Anschauung lässt sich Einsicht gewinnen in das Gewollte und Gemeinte. Wilhelm Jaeger konfrontiert uns mit meist grossen Bildern auf Baumwolle und vorzugsweise quadratischen Formats, die in einzelnen Fällen über Eck gestellt sind. Ihre Ausmasse überschreiten meist das menschliche Mass um ein Drittel oder Viertel.

Vorausgegangen sind Bilder von teils kompliziertem Umriss, die zur Gattung des «shaped canvas» gehören und enge Beziehungen von Komposition und Bildumriss zeigen. Einzelne dieser Werke waren nicht wand-parallel konzipiert, sondern lösten sich oben oder unten von der Wand ab, ragten also in den Raum hinaus. In Ausnahmefällen waren es mehrteilige Bodenstücke, die aus flacher Position keilförmig in die Schräge übergehen. Es ging Jaeger in dieser Schaffensphase also nicht um das «handliche», das domestizierte Bild, das an der Wand klebt, sondern um ein aktives Verhältnis von Malerei und Raum, eine Verzahnung von Zwei- und Dreidimensionalem. Der Begriff des Muralen wäre gerechtfertigt, wenn man darunter eine Malerei versteht, die in dynamischer Beziehung zum Umraum steht. Inzwischen ist Jaeger zum eigentlichen Bild rechteckigen Formates zurückgekehrt, ohne jedoch den Raumbezug seiner Malerei aufzugeben.

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Dr. phil. Willy Rotzler

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Dr. phil. Willy Rotzler 24. März 1976

"Ich kenne Herrn Jaeger nicht persönlich, kann also über seine Wesensart nichts sagen. Aber was ich seinem Lebenslauf und den mir bekanntgewordenen künstlerischen Arbeiten entnehmen kann, macht mir einen sehr guten Eindruck.


Jaeger kommt vom Textil-Entwurf her und ist vor allem noch durch die gute Schule von Johannes Itten gegangen. Nach einer Berufstätigkeit als Textil-Entwerfer in Oberitalien hat er sich 1972 zur kunstpädagogischen und zur freien künstlerischen Tätigkeit entschlossen. Erst Ende vergangenen Jahres mit freien Arbeiten in der Ausstellung der Zürcher Künstler (juriert ) der Öffentlichkeit vorgestellt.

Dass wir Mitglieder der Eidg. Kunstkommission bei der Wahl der rund 40 Stipendiaten (aus nun über 500 Einsendungen) Jaeger einstimmig gewählt haben, mag zeigen, dass wir - im Vergleich zu vorliegendem Material - seine Arbeit als hervorragend tarierten. Jedenfalls haben uns die grossformatigen Zeichnungen mit ihren grossen zeichnerischen Stil und ihrer sehr persönlichen Interpretation von Prinzipien der Motive interessiert.


Für Jaeger spricht sicher auch, dass er durch sein Alter, seine Berufsarbeit und seine Lehrtätigkeit an der Zürcher Kunstgewerbeschule eine Reife besitzt."


Dr. phil. Willy Rotzler

Liste anfertigen mit allen meinen Ausstellungen (Einzel- und Gruppenausstellungen) in Galerien.

Besonders meine Ausstellung (Einzel) in der renommierten Galerie Gimpel Hanover/André

Emmerich in Zürich (und London und New York) 1981 ankreuzen oder hervorheben und eventuell Dr.

Becker vom Kunsthaus Zürich bei der nächsten Begegnung überreichen.


Wichtige Anmerkung:

Dr. Willy Rotzler war 1978 nach meinem Eidgenössischem Kunststipendium (2mal höchste Kategorie) mein Entecker. Er hat mich daraufhin seiner Gattin Anne Rotzler vermittelt (Leiterin der oben genannten Galerie), welche meine Werke bis etwa 1985 in ihrer Galerie zeigte, ebenfalls mehrmals an der ART in Basel, bis kurz vor ihrem Tod. In diesen wenigen Jahren hat Anne Rotzler bereits mit grossem Erfolg meine Werke international verkauft.


*Willy Rotzler war ein bekannter Kunsthistoriker, Publizist, Redakteur und Konservator.

Text von F. Brook Rom, April 1978

Bildhauer

Kommissar, (Beauftragter) der 32.,34. und 36. Biennale von Venedig (1964,1968,1972)


An die Eidgenössische Kunstkommission

Ich habe mit grossem Interesse die Werke des jungen Malers Wilhelm Jaeger gesehen. Ich finde sie sehr interessant, und glaube, dass sie würdig wären an der Biennale von Venedig gezeigt zu werden. Seine Werke stellen etwas Unerwartetes innerhalb der Schweizerischen Malerei dar.


gez. F. Brook Rom, April 1978

An drei Orten zu sehen: "Kunstszene Zürich 1976" Donnerstag, 2. Dezember 1976

(TA) Seit vergangenem Samstag ist in Zürich die alljährliche Weihnachtsausstellung der Zürcher Künstler zu besichtigen. Sie trägt den Titel «Kunstszene Zürich 1976», ist nach Stilen und Richtungen geordnet und auf drei städtische Kunstinstitute, das Helmhaus, das Kunsthaus und das Kunstgewerbemuseum, verteilt. Von ihren Rundgängen in den verschiedenen Ausstellungen berichten im folgenden unsere Mitarbeiter Bice Curiger (bc.), Cécile Matzinger (cm.) und Peter Erni (P. E.).


Bewährtes und „Beruhigtes“ im Helmhaus

bc. Im Helmhaus, so liest man, ist das «Traditionell-Figurative und Informell-Abstrakte» ausgestellt. Eher die ältere Generation also? Ein Indiz dafür wäre etwa, dass bei den Teilnehmerinnen sowohl in der Bilderbeschriftung, als auch im Katalog einfach das Geburtsjahr fehlt. Doch die Vermutung stimmt nur halb. Denn es sind erstaunlich viele Werke jüngerer Künstler dabei, die sich in einer «beruhigten Ästhetik» ausdrücken, wie es im Katalog zu der im Helmhaus untergebrachten Gruppe heisst. Ein bisschen mag es eine Zeiterscheinung sein, dass man wieder zu Zeichenstift und Pinsel greift. Doch wird ein wesentlicher Grund dazu auch in der Konzeption der Weihnachtsausstellung und der Natur einer (von mir aus gesehen weit überbesetzten) Jury liegen: Wenn, wie es im Katalog heisst, eine «museumsreife Ausstellung» angestrebt wird, in der es «keineswegs darum geht, eine Avantgarde zu konstituieren», und innerhalb der Jury eben nur der gemeinsame Nenner von fünf Meinungen zählt, ist als Resultat in der Mehrzahl Bewährtes oder gar «Beruhigtes» zu erwarten. Nur, das Schaffen der jungen Künstler wird auf diese Weise in einem schiefen Verhältnis dokumentiert, und zwar zum Nachteil derer, die es am nötigsten hätten, in öffentlichen Häusern ausgestellt zu werden, weil ihre Arbeiten entweder zuwenig gefällig oder sonst wie zu wenig attraktiv für die kommerziell ausgerichteten Galerien sind. Deshalb freut man sich in dieser Ausstellung eben vor allem über die Älteren, die noch gleich jung oder jünger wirken als ihre Epigonen. Raphael Benazzi, Hans Josephson, Muz Zeier, Hanny Fries sind da zu nennen. Benazzi zeigt neuartige, kleine, merkwürdig kantig verkeilte Plastiken, während Muz Zeier auch diesmal mit seiner beschwörenden Peinture des Banalen und Traurigen ergreift. Und Hanny Fries ist nicht als Zeichnerin, sondern als Malerin zu entdecken: zurückhaltende, delikate Koloraturen, die wie ein Schleier wirken, hinter dem vibrierendes Leben zuckt. Da sind auch noch die bravourös gemalten Stilleben des Hans Erhardt oder die kräftigen und grosszügigen Bildwelten von Secondo Püschel erwähnenswert.

Konstruktive, Neue Realisten im Kunstgewerbemuseum

P. E. Siebzig Künstler in den Ausstellungsräumen des Kunstgewerbemuseums, Konstruktiv-Konkrete und neue Realisten, der Besucher durchschreitet eine Bilderwelt, die vielleicht im Kern diesen zwei Tendenzen entspricht, ihm aber zugleich zeigt, dass aktuelles Kunstschaffen nur bedingt begrifflich abzugrenzen ist. Die vorzüglich gehängten Bilder, dann aber auch die sorgfältige Ausstellungsarchitektur ermöglichen eine vergleichende Betrachtung der vielfältigen Werkgruppen; die einzelnen Beiträge sind weder einander gleichgeschaltet noch miteinander verzahnt. Eine wertende Bilanz zu ziehen scheint mir bei den Konstruktiv-Konkreten eher möglich. Eine langjährige Tradition - sie ist eng mit der Kunstproduktion dieser Stadt verbunden - setzte hier Massstäbe, an denen gemessen viele der anwesenden Künstler epigonenhaft und eher blass erscheinen.

Das optisch-attraktive Linien- und Flächengewirr vieler Konstruktiv-Konkreter ist weiter entfernt von Bills «horizontal-diagonal quadrat» als etwa Hugo Schumachers «Schneller Autolandschaft» - vielleicht auch deshalb, weil der Entwurf einer neuen Wirklichkeit und die kritische Darstellung der vorhandenen nacheinander verlangen. Hier wie dort werden die Bildmittel mit grosser Konsequenz eingesetzt. Dies gilt auch für Peter Bräuningers Radierungen, die dem Betrachter eine leblose, mit Drahtgeflecht, Mauer und sinnlosem Werkzeug bestückte Kulturlandschaft entwerfen, deren Bewohner die unvollendete Arbeit liegenliessen und sich flüchteten vor den gewaltigen Kräften, die sich hinter der Mauer anstauen. Bräuninger spricht jenseits aller Marktschreierei. Perfektes Handwerk verraten Remo Roths Ideen zur Wohnkultur, und Pierre Brauchli gelingt es mit der Art und Weise, wie er Schraffuren anlagert, die Mimik der abgebildeten Gesichter - Trauer, Enttäuschung, Aufmerksamkeit - zusätzlich zu unterstützen. Peter Baviera, der sich lange Zeit mit Astronomie und Geologie befasste, deutet wissenschaftliches Material mit malerischen Mitteln. Diese Maler, dann aber auch Aldo Bachmayer und Bignia Corradini bürgen für eine abwechslungsreiche und spannende Entdeckungsfahrt durch die Zürcher Kunstszene.

Nicht zu übersehen und ganz grossartig Dominique Pillers Raumflugobjekt, ein schwarzer Heissluftballon, der sich periodisch füllt, aufsteigt und verreist, dann aber gebremst wird, abschlafft und müde in sich zusammenfällt. Der beiliegenden Dokumentation entnehme ich den Satz: «Les Suisses vont à la gare, mais ils ne partent pas» - wer hier nur Bahnhof versteht, müsste sich das Wegreisen und Hinsinken des Ballons längere Zeit anschauen.


Aktuelle Tendenzen im Kunsthaus

cm. Was einen als erstes begrüsst an der diesjährigen Weihnachtsausstellung der Zürcher Künstler im Kunsthaus ist schlicht erschlagend: Hans Ganterts riesige Bauzeichnungen. Dann geht's weiter im Jahr für Jahr bekannten und vertrauten Rhythmus mit Einzelwerken und vielen Werkgruppen, mit Namen die so ziemlich alljährlich wieder auftauchen, nichts Neues in Sicht, die «Aktuellen Tendenzen» der letzten Jahre vorhanden. Diese «Aktuellen Tendenzen» würde ich zum Teil mit «Persönliche Tendenzen und ihre beträchtliche Nachkommenschaft» umschreiben. Zürcher Künstler halten sich kaum dafür, offen im Schlepptau einer internationalen Kunstrichtung mitzuziehen. Man sieht aber sehr viel an diese Richtungen Erinnerndes und weiter - vor allem - zahlreiche Untergrüppchen eines jeweils aktuellen Zugpferds. Ich möchte nicht ungerecht sein, aber mir scheint, dass es dieses Jahr in einigen Ecken «hofkünstelt», «krähenbühlert» (wie schreibt man nur das entsprechende Wort bei Corradini?) und so weiter. Das ist wohl kaum vermeidbar; man kennt sich, fühlt sich angesprochen und findet den Weg des andern vielleicht so attraktiv, dass man ihn selber ein Stück weit verfolgt. Bloss für den Betrachter ist dies manchmal ein wenig mühsam, doch wiederum auch überraschend. Die Jury hat - das ist sehr deutlich zu sehen - Wert auf eine ästhetische Präsentation gelegt. Diese Ausstellung hat nichts von einem Kunstweihnachtsbasar an sich, wo kunterbunt und mit riesen Qualitätsunterschieden «Kunst» stattfindet. Gut gewählte, geschlossene Werkgruppen bestimmen das Gesamtbild, keiner - höchstens Claude Sandoz mit seinen farbenfreudigen Riesenbildern - erdrückt den andern. Diese Einheit jedoch ist kaum auf eine homogene Künstlerschaft zurückzuführen, sondern eher auf das «Gewissen» der Jury. Vielleicht wird auch aus diesen Gründen der eine oder andere ausgeschaltet worden sein, es gibt umgekehrt einige, die fehl am Platz sind, vor allem in der Gruppe der «Phantastischen Figuration» und bei den plastischen Werken. Etwas noch ist auffallend: eine sozialkritische Komponente, eine politische Tendenz oder auch nur Andeutung fehlt praktisch ganz; die «Aktuellen Tendenzen» begnügen sich mit einer stilistischen Rückschau oder tiefinnerlichen Nabelschau.

(Bis 2. Januar.)


©​​​​​​​ Tagesanzeiger

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