Wilhelm Jaeger

1987

Ist das Spiel noch offen, oder geht es zu Ende? Mittwoch, 7. Oktober 1987

Wilhelm Jaeger im Kunstmuseum Thun


Das Kunstmuseum Thun zeigt vierzig Werke des 1941 geborenen, in Zürich lebenden Malers Wilhelm Jaeger. Damit hat eine Wanderausstellung, die im Frühling 1986 im Aargauer Kunsthaus begonnen hatte, dann in verschiedenen Museen der Bundesrepublik Station machte, ihren letzten Aufenthalt erreicht. Diese weitschweifende Tournee ermöglichte in erster Linie ein Beitrag der Pro Helvetia.


Wilhelm Jaeger malt grosse Formate; er vermag Masse von bis zu 292 x 496 Zentimetern zu bewältigen. Wie einst beim Amerikaner Jackson Pollock (1912-1956), immer noch der Inbegriff eines Künstlers, für den das Malen auch physischer Kraftakt und grosse Gebärde bedeutet hat, entstehen Jaegers Bilder ebenfalls nicht auf der Staffelei. Er breitet vielmehr wie der Amerikaner den Bildträger (Leinwand oder Baumwolle) am Boden aus, so dass er sich auch körperlich ins Bild hineinverfügen, in ihm drin «leben» kann.


Von unheimlich starker Präsenz
Weiter jedoch kann der Vergleich mit Pollocks Malweise nicht ausgedehnt werden. Dieser arbeitete rasch, wie im Tanz oder in der Trance; Jaeger dagegen legt Schicht auf Schicht, bedächtig, über eine lange Zeit hinweg. Selten spannt er die Malhaut glatt über die Fläche; sie wird vielmehr aufgewühlt, vergittert oder verbarrikadiert, wie mit Stichen kreuz und quer «vernäht»; die Malpaste kann sich zu kleinen Häufchen aufwölben. Beides, das grosse Format und die dichte Überlagerung der Farben, verleiht den Werken von Jaeger eine starke physische, dem Betrachter entgegentretende Präsenz: Sein Bild erscheint nicht in erster Linie als geistiges Operationsfeld, auf dem Formstrukturen plaziert wordener

Farbe entstanden ist. In diesem Zusammenhang wird eine Werkgruppe mit einer Würfelform im Bildzentrum wichtig: Der Würfel perspektivisch gegeben, abgedeckt, so dass man hineinsehen kann, aus Diagonal - und Parallelschraffuren wie ein Textil gewirkt. Kurz: Diese Würfel verkörpern materielle Gegenstände, sind mit dem Auge betretbar wie eine Architektur, also wieder sinnlich-physische Präsenz, nicht in erster Linie reine Idee, geistige Projektion. Aber es wäre verfehlt zu glauben, Jaeger protze und vergewaltige mit seinen grossen Massen, betreibe das Malen als Kraftmeierei. Seine Farben zum Beispiel halten zurück (ausser bei den «giftig» und aggressiv gemalten «Ortsbestimmungen») sie leuchten nach innen gewendet. Hochrot ist selten im Vergleich zu Weinrot und verschiedenen Rosastufen; Flaschengrün und tiefe Blau sind häufig in grosse und beruhigende Grau- und Schwarzanteile gebettet. Es gibt sogar Bilder, die ein Geheimnis zu wahren scheinen. Wer weiss, was sich hinter den Holzverschlägen und Strickverspannungen der frühesten Bilder aus der Serie «Grenzbereiche» befinden mag.


Gratwanderungen
Eine weitere Eigenart von Wilhelm Jaeger ist es, dass er ganze Bildserien gleichzeitig nebeneinander vorantreibt. Die ersten, auf das Jahr 1977 zurückgehenden «Grenzbereiche» sind noch spürbar von Holzkonstruktionen, von Stalltür ...

....diese Strukturen stärker übersetzt, das heisst entstofflicht, und gleichzeitig durchlässiger. Das Motiv des Holzverschlages verwandelt sich in ein offenes Gerüst und in tauähnliche Stränge, auch in so etwas wie Korbgeflechte und schliesslich in steife Zickzackformen. In der Bildgruppe «Konstruktive Elemente» behaupten sich ebenfalls Architekturteile; aber hier assoziiert man eher mit antiken Ruinenstädten als mit urtümlichen Bauweisen. Die 1986 begonnenen «Ortsbestimmungen» geben den Blick auf visionäre Landschaften in der Aufsicht frei. Sie erinnern an durchschluchtete Hochebenen, aber auch an ungeheure Anhäufungen von Zivilisationsschutt oder an Riesenpuzzles.
Eigentlich könnte Wilhelm Jaeger sein ganzes Schaffen unter das Vorzeichen «Grenzbereiche» stellen. Er balanciert zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit, zwischen Konstruktion und Emotion, informeller und klarer Formprägung, reiner Struktur und symbolischer Sinnhaltigkeit. Das Jahrhundert und seine Helden sind müde geworden, der Innovationssturm ist verrauscht. Markieren die Bilder von Jaeger dieses Fin de Siècle, indem in ihnen die Gestaltungsentwürfe von gestern verhackstückt werden, aber auch als
Amalgam hervortreten? Oder setzen sie einen neuen Anfang? Ist Jaeger ein Nachgeborener, der das bisher Erarbeitete noch einmal zusammenfasst, oder zeigt sich ein Neuanfang darin, dass der Künster sich alle Optionen offenhält? So ist bei Jaeger auch die Menschenfigur möglich, nicht selbstbewusst und als «Krone der Schöpfung», sondern aufzuckend, aus dem Gewirr der Pinselhiebe auftauchend, oft als das erste Menschenpaar.


Die Ausstellung im Kunstmuseum Thun


© Tages Anzeiger / Kultur / von Fritz Billeter


Konstruktiv und phantasievoll farbig 

Freitag, 25. September 1987

Vernissage im Kunstmuseum Thun: Wilhelm-Jaeger-Ausstellung


Das Kunstmuseum Thun hat sich gemeinsam mit dem Aargauer Kunsthaus, der Kunsthalle Mannheim, dem Museum Gelsenkirchen und dem Museum Bochum an einer Ausstellung des Werkes von Wilhelm Jaeger beteiligt. Der Zürcher Künstler, dessen Bilder jetzt in Thun zu sehen sind, geht einen eigenständigen Weg in der zeitgenössischen Schweizer Kunstszene. Konstruktive Geometrie und eine Grenzen sprengende Phantasie vermischen sich bei ihm zu einer verdichteten Lebhaftigkeit. Vor den Bildern des Zürcher Künstlers Wilhelm Jaeger steht man wie vor einem riesigen Berg. Zuerst einmal beeindrucken sie durch die monumentale Grösse, die sich bis zu einer Fläche von 3,8 x 3,8 Meter erstrecken kann. Damit will der Künstler verhindern, dass man ihn überschaut oder unbeachtet in eine Ecke stellt (vergleiche TT vom 22. September).


Abgründige Ruhe dringt durch

Ein schneller Blick allein genügt freilich nicht, denn oberflächlich betrachtet, scheinen wild sich kreuzende Pinselstriche mit der Wucht von Beilschlägen gegeneinander zu prallen. Da ist es, als wäre ein Inferno kräftiger Farben entfacht, als wäre Masslosigkeit entfesselt. Aber dieser flüchtige Blick trügt. Wer sich vertieft, sich von den Bildern aufsaugen lässt, entdeckt, wie eine Grundordnung jedes Bild auf eigenständige Art bestimmt. Entfesseltes und Geordnetes verweben sich so ineinander, dass je länger desto stärker aus abgründigen Tiefen eine Ruhe hervortritt, die das zwar ganz und gar nicht einfach macht, diesem Künstler in die Seele zu blicken. Genauso wie 
Wilhelm Jaeger im Gespräch ausweicht und beinahe nicht fassbar ist, legt er quer durch seine Bilder klobige Balken, so dass ein ungestörter Blick ins Hintergründige versperrt bleibt. 

Sein erstes Motiv war die Stalltüre

Plötzlich begreift man, warum bei Wilhelm Jaeger das Motiv der Stalltüre in seinen künstlerischen Anfängen eine so grosse Rolle gespielt hat. Da hat er etwas gefunden, was seinem Wesen entgegenkam, Wärme vor Zudringlichkeit abschirmte und ihm so den Einstieg in die malerische Eigenständigkeit ermöglichte. Daraus entwickelte sich dann bei Wilhelm Jaeger malerisches Leben. Ohne dass er den Halt einer strengen Bildgeometrie aufgab, begann die Auflösung der realistischen Brauntöne in eine eigene aussagestarke Farbigkeit. Das Motiv der Stalltüre entwickelte sich, entfremdete sich und blieb doch über Jahre wenigstens in Ansatzpunkten erahnbar. Heute hat Wilhelm Jaeger den Riegel der Stalltüre längst zurückgeschoben. Aber mit Balken ist er schnell zur Hand, denn immer noch ist er auf der Hut, sich nicht in sein Inneres blicken zu lassen. Da übermalt er, was er empfunden hat, eher mit neuen Schichten und nimmt auch diese Empfindungen wieder zurück, indem er sie teilweise verdeckt.

Dem Leben habhaft geworden
Wilhelm Jaegers
 Abstraktionen, aus denen manchmal ein Mensch hervortritt, warten auf keine inhaltliche Deutung. In ihrer Lebhaftigkeit im tiefsten Sinne des Wortes sind sie für mich ein Ausdruck dessen, was mir Leben bedeutet. Da ist es einem Maler gelungen, durch das Umsetzen in Farbe und Form dem Leben habhaft zu werden. Im vielschichtigen Gewebe wechselseitiger Beziehungen ist jeder Pinselstrich, eine neue Reaktion auslösend, bereits eine Antwort auf eine Frage. Etwas enthüllend, verdeckt er gleichzeitig das, was vorher war, streicht etwas hervor und drängt anderes zur Seite.


Heidi Zingg-Messerli
Die Ausstellung im Kunstmuseum Thun dauert bis am 8. November. Öffnungszeiten: Dienstag und Donnerstag bis Sonntag 10 bis 12
und 14 bis 17 Uhr, Mittwoch 13 bis 21 Uhr. Am
Montag bleibt das Kunstmuseum geschlossen

© Thuner Tagblatt / Text von Heidi-Zingg-Messerli

«Er kniet oder sitzt im Bild»
hz. An der Vernissage im Thunerhof stellte John Matheson, der die Jaeger-Ausstellung der fünf Museen mitgestaltet hat, den Künstler als einen verzweifelt Suchenden im Spannungsfeld von Rationalität und intuitiv Unbewusstem vor.
«Wenn Wilhelm Jaeger seine grossflächigen Bilder malt, dann geht er in sie hinein, kniet oder sitzt im Bild», erzählte John Matheson, der gegenwärtig
die Biennale von St. Gallen vorbereitet. «So ist Wilhelm Jaeger in seiner exzessiven Malerei Teil des Bildes.»

Das TT sprach mit.. Freitag, 25. September 1987

Wilhelm Jäger (46), Künstler 

Wilhelm Jäger (46), der in Zürich lebt, geht als Künstler seinen eigenen Weg. Nicht die Motive, nicht das grafische, sondern das malerische Moment fasziniert ihn in seiner Arbeit. Im Gespräch mit dem TT erklärt Wilhelm Jäger, wie er über die Stalltüre seinen Zugang zu einer vielschichtigen expressiven Malerei 

gefunden hat. 


Wilhelm Jäger: «Ich weiss, meine Stalltüren sind für viele Leute eigenartig»


TT:
 Herr Jäger, in Thun sind Sie noch mehr oder weniger ein Unbekannter. 

Wilhelm Jäger: «Ich war zwar bereits mit zwei Bildern in der Ausstellung «Märchen, Mythen und Monster» vertreten, die in Thun gezeigt worden ist. Vielleicht, dass sich noch jemand daran erinnert.» 

TT: Aber die Bilder, die jetzt im Kunstmuseum hängen, sehen in ihrer expressiven abstrakten Malweise ganz anders aus..
Wilhelm Jäger:
 «Manche sagen, ich male zu wild und zu chaotisch. Anderen ist meine Malweise zu streng. Die diametrale Ablehnung zeigt, dass mir beide Wege möglich sind.»
TT:
 Gehören Sie zu den jungen Wilden?
Wilhelm Jäger:
 «Nein. Meine Malerei ist konstruktiver. Der strenge Bildaufbau passt nicht zu den jungen Wilden. Auch sind ihre Figuren nicht das, was ich will. Mir liegen strenge symmetrische Formen, die ich auch mit Menschen kombiniere. Nicht das Motiv, sondern der Aufbau der Malweise ist mir wichtig.
Darum übermale ich ein Bild bis zu zehnmal, bis es mir passt.»

TT:
 Anfangs malten Sie nur Stalltüren.

Wilhelm Jäger: «lch weiss, meine Stalltüren sind für viele Leute eigenartig, nicht zu erklären. Als ich vor Jahren mit dem Hund spazieren ging und nach eigenen Bildformen suchte, begann mich das Architektonische und Geometrische der Stalltüren zu interessieren. Später setzte ich diese Idee in andere Farben um. Ich verliess das Braun, kam zu Weiss und Grau, bis Schwarz immer wichtiger wurde. Jetzt in unserem Gespräch merke ich plötzlich, vielleicht ist die Stalltüre der Eingang in mein Werk..»
TT:... welches aus überdimensionalen Bildern besteht. Warum malen Sie so grossflächig?
Wilhelm Jäger: «Es ist schwer zu sagen, denn ich habe mehr kleinere als grosse Bilder. Aber diese fallen mehr auf. Sicher besteht bei mir ein Hang zur Monumentalität. Damit befinde ich mich aber in bester Gesellschaft. Freilich sind meine Bilder für die Wohnzimmer zu gross. Aber das Format hat doch seine Wirkung.»
TT: Trotzdem…
Wilhelm Jäger: «Unsere Zeit ist so laut. Da hat man sonst das Gefühl, nicht beachtet zu werden. Ausserdem gibt es bei mir biografische Gründe. Ich bin lange Zeit übergangen worden.»
TT: Mit Museumsausstellungen in Aarau, Mannheim, Gelsenkirchen, Bochum und Thun sowie der Unterstützung der Pro Helvetia aber haben Sie es jetzt geschafft. Obwohl Sie ein künstlerischer Einzelgänger sind, werden Sie nicht länger ein Unbekannter bleiben.
Wilhelm Jäger: «Es ist nicht leicht, in Museen hineinzukommen. Ich hatte in Thun vor drei Jahren Kontakt mit Herrn Dolezal, und er sagte mir spontan zu, etwas zu machen. Damals wusste ich noch nicht, dass ich von der Pro Helvetia ein grosses Stipendium bekommen würde. Nun bot sich in diesem Jahr Gelegenheit, die Ausstellung, die andernorts zu sehen war, auch nach Thun zu bringen.»


Interview: Heidi Zingg-Messerli

© Thuner Tagblatt / Text von Heidi-Zingg-Messerli

Kunstmuseum Thun: Für Jägers Bilder waren die Türen zu niedrig 

Dienstag, 22. September 1987

h:. Morgen Mittwoch lädt das Kunstmuseum Thun zur Vernissage der Wilhelm-Jäger-Ausstellung ein. In den letzten Wochen war der Konservator George J. Dolezal (links im Bild) mit dem Künstler Wilhelm Jäger (rechts) und den Mitarbeitern des Kunstmuseums eifrig an der Arbeit, die Bilder für die Ausstellung auszuwählen und zu hängen. Dabei gab es besondere Probleme mit den überdimensionalen Bildgrössen. Die Säle des Kunstmuseums waren zwar genügend hoch. Aber für einige Bilder waren die Türen zu klein, so dass sich der Künstler und der Konservator etwas einfallen lassen mussten, die Tücken der zu niedrigen Türrahmen zu überwinden. Nachdem die Ausstellung mit der Unterstützung der Pro Helvetia bereits im Aarauer Kunsthaus, in der Kunsthalle Mannheim, im Museum Gelsenkirchen und im Museum Bochum zu sehen war, stellt nun das Kunstmuseum Thun vom 24. September bis am 8. November mit Wilhelm Jäger einen Künstler der jüngeren expressiven Schweizer Malerei vor.
(Bild: Heidi Zingg-Messerli)


© Zeitung Staddt Thun / Bild bei Heidi-Zingg-Messerli

Bilder zwischen Chaos und Ordnung

 Freitag, 25. September 1987

Das Thuner Kunstmuseum zeigt als letzte Station einer Wanderausstellung die dramatischen Riesenbilder des Zürcher Wilhelm Jaeger (1941). 

Beim Betreten des Thuner Kunst Museums mache ich instinktiv einen Schritt rückwärts. Auf monumentalen Bildern ist da wie aus einem Vulkan grelles Rot, schwefeliges Gelb, elektrisches Blau und giftiges Grün ausgebrochen und in dicken Krusten erstarrt wie Lava. Sogar die schwarzweissen Bilder wirken noch explosiv farbig. Erst bei näherem Hinsehen erkenne ich, dass unter den wie Beilhieben auf die Leinwand geknallten, vielschichtigen Pinselstrichen architektonische Formen wie Balken, Säulen oder Quader aufscheinen, da und dort auch menschliche Figuren. «Im Spannungsfeld von Rationalität und Intuition», wie John Matheson in seiner Vernissagerede sagte, versucht da ein Vollblutmaler, eine streng konstruktive Bildkomposition mit wilder Expressivität zu verbinden. Dabei bewegt er sich von der «Form ohne Farbe» seiner Scheunentorbilder'(1977) zur «Farbe ohne Form» mit «Grenzbereich» (1978-1984) betitelten Leinwände. In den letzten Bildern dann unternimmt er eine neue «Ortsbestimmung» (1987) und malt ein Puzzle klar konturierter, plastischer Formen in grellen Farbkontrasten, das aussieht wie eine explodierende futuristische Stadt aus der Vogelschau. Er habe die Bilder absichtlich so eng gehängt, sagt der Thuner Konservator Georg Dolezal, der die Ausstellung zusammen mit den Kunstmuseen von Aarau, Mannheim, Gelsenkirchen und Bochum organisiert und sich damit auch einen schönen Katalog eingehandelt hat. Er wolle «den Betrachter total in diese totale Malerei hineinstürzen». Es geht tatsächlich ein Sog aus von den dramatisch bewegten Bildern, und plötzlich habe ich das Gefühl, in einem zähen, Farbschlamm zu ersticken. Zum Glück hat ein Bild ein grosses, schwarzes, quadratisches Loch. Ich stürze mich durch diesen Notausgang - und erkenne zu spät, dass ich in einen brodelnden Asphaltsee gesprungen bin. 


Marie-Louise Zimmermann Hofstettenstrasse 14, Thun; bis 8. November:

Di und Do-So 10-12, 14-17, Mi 13-21 Uhr. Am 21 Oktober, 20 Uhr, Führung durch Georg Dolezal. Katalog: Fr 20.-

© Berner Zeitung BZ / Kunstmuseum Thun

Ordnung und Chaos  6. Oktober 1987

40 Gemälde des Künstlers Wilhelm Jaeger im Kunstmuseum Thun


mbf. Die Ausstellung des 46jährigen Zürcher Künstlers Wilhelm Jaeger ist nach den Stationen Aargauer Kunsthaus, Kunsthalle Mannheim, Museum Gelsenkirchen und Museum Bochum nun im Kunstmuseum Thun zu sehen.
Die vierzig Gemälde (Acryl, Kunstharz, Acryl-Latex) sind zwischen 1979 und 1987 entstanden. Der erste Eindruck der expressiven Werke ist wohl schon derjenige des Monumentalen, füllen doch einige Arbeiten ganze Wände, fast werden die Räume von der Malerei erdrückt. Dann glaubt man vier klare Gruppen zu erkennen, und sie werden auch durch die Titel "Konstruktive Elemente", "Grenzbereiche", "Ortsbestimmung" und "Kubus" (alle jeweils mit Nummern versehen) gekennzeichnet. Doch diese Themengruppen sind schlussendlich nicht so klar voneinander zu trennen, die Übergänge sind fliessend. Drei starke runde Balken zwischen etwas schmäleren Horizontalen bilden die Grenze zwischen Öffnungen, die durch diagonal gekreuzte Balken geschlossen werden. Hier spürt man die Anregung durch ein wirkliches Gebäude, einen Stall, einen Riegbau. In der ebenfalls in Brauntönen gehaltenen «Detailaufnahme» wird dieser Bezug undeutlicher. Grosszügige lebhafte Pinselstriche, oft diagonal gekreuzt, übertönen in einem grossen Gemälde das regelmässige, oft symmetrische Gerüst von Balken. Nirgends findet man ruhige, monochrome Farbflächen, alles scheint aufgewühlt in einem steten Wechsel zwischen Blau/Grün und Blau/Weiss. «Konstruktive Elemente Nr. 73 (mit Figur)» steht für mich den «Grenzbereichen» nahe. Auch hier besteht ein Gerüst von Linien, doch die Symmetrie wird aufgegeben und die Farbigkeit freier.


Am oberen Bildrand erinnern zackige Formen in einem Rahmen an eine zerbrochene Scheibe. Fast unbeholfen steht im Strichgewirr eine männliche Aktfigur. Doch «Konstruktive Elemente», das sind auch Gemälde mit klaren Formen von Zylinder, Kuben usw. Die Volumen werden von jeweils einer Farbe bestimmt. Stark reduzierte (Bau?)-Körper in einem Hintergrund, in dem sich der gehetzte betont expressive Wechsel von Farbe und Pinselstrich zum Teil noch behauptet und die unregelmässige Bildoberfläche zurücktreten lässt. Zur Beschäftigung mit dem alten Thema des Kubus wurde Wilhelm Jäger durch Spielwürfel angeregt. Davon ist allerdings in den ausgestellten Gemälden nichts mehr zu sehen. Ein Kubus wird geöffnet zur Schachtel, plump und mächtig, bei der hintern Fläche wird die Dreidimensionalität in Frage gestellt.
Anderswo sind die drei sichtbaren Seiten diagonal «verschnürt». Beim letzten Würfel wird die Anwendung des diagonal gekreuzten Pinselstriches bis zur Monotonie auf die Spitze getrieben. Die obere Seite des Würfels wird zum Gitter, in dem eine Acht eingebaut ist. «Pythagoras deutete die 8 als Harmonie», so der zusätzliche Kommentar im Titel, der eine Verbindung mit einer langen Tradition herstellen soll. Mit wenigen Ausnahmen sind die mit "Ortsbestimmung" betitelten Arbeiten 1987 entstanden und heben sich von den übrigen deutlich ab. Oft zackige, genau definierte Körper und Flächen bestimmen das Bild. Der Pinselstrich wird zurückhaltender, dafür wirkt nun die bewegte, dick mit Farbe beschichtete Oberfläche stärker als in den übrigen Themenbereichen. Die Formensprache, wenn auch nicht die Bildaussage, erinnert mich an Graffiti und Comics. Die Ausstellung ermöglicht es, eine Entwicklung verschiedener Themenbereiche zu verfolgen; die fliessenden Übergänge werden durch entsprechende Hängung miteinbezogen. 

(Bis 8. November)


© Der Bund

Balkenbilder aus dem Grenzbereich  Freitag/Samstag 24./25. Juli 1987

Mit mächtigen Farbbalken baut und festigt der Schweizer Maler Wilhelm Jaeger seine großen, zumeist quadratischen Bilder auf dichten Baumwollflächen. Konstruktion und expressive Gesten bilden die beiden Pole einer Malerei, die ihre Wurzeln sowohl in der Konkreten Kunst, wie sie in der Schweiz nach dem Krieg geschaffen wurde, als auch in den gegenläufigen Bildschöpfungen die Ansiedlung im „Grenzbereich" - wie auch dieses Bild heißt. Das Museum Bochum zeigt derzeit eine Übersicht über Jaegers Arbeit der letzten Jahre, die neben kleineren Zeichnungen auch die über Eck gestellten großen Quadrate beinhaltet. 


G.B. Museum Bochum: Wilhelm Jaeger, Bis 30. August.
Dienstag bis Freitag 12 bis 20 Uhr,
Samstag und Sonntag I0 bis 18 Uhr.

© Die Neue Aerztliche​​​​​​​

Zwischen Gefühl und Verstand Montag, 27. Juli 1987

Werke W. Jaegers im Ruhrgebiet


Der Züricher Maler Wilhelm Jaeger, Jahrgang 1941, verbindet in seinen meist großformatigen Werken zwei Stilrichtungen, die für die Kunst des 20. Jahrhunderts prägend waren: die tachistische, informell-abstrakte Manier und das konstruktivistische, ein bestimmtes Formenarsenal berücksichtigende Element. Dieses gibt seinen Bildern, die zur Zeit in den Museen von Bochum und Gelsenkirchen zu sehen sind, bei aller Dynamik der Aussage einen Halt. 

In Deutschland zählt er noch als „Geheimtip", in der Schweiz besitzt der ehemalige Schüler von Johannes Itten einen guten Namen. Die Stiftung "Pro Helvetia" förderte jetzt eine Ausstellungstournee mit Jaegers Schaffen durch fünf Städte, zu denen in NRW nur die beiden genannten Revier- Kommunen gehören.

Zwei Seelen dürften in Jaegers Brust wohnen, die dann in seinen wuchtigen Bildern zum Ausdruck kommen: auf der einen Seite die impulsive, ganz vom Gefühl ausgehende, virtuose Malerei - auf der anderen das architekturbezogene, auf Ordnung zielende Pathos des „großen Wurfs". Die Malerei erinnert an Theaterszenen, an Bühnenbilder - in diesen fiktiven Landschaften spiegelt sich die Geschichte. Versatzstücke untergegangener Kulturen wie Quader von Tempeln oder antike Friese werden bei Jaeger neu belebt; der Zyklus "Die Ruinen des goldenen Hauses des Nero" gibt ein Beispiel dafür. Der „Kampf" zwischen Emotion und Verstand, Historie und Autobiographie, Ordnung und Chaos geht unentschieden aus. Die Konflikte, die bei dieser polaren Haltung ausgelöst werden, toben sich aus, neutralisieren sich aber nicht gegenseitig. Es geht in Jaegers Schaffen mit Acryl auf Papier, Baumwolle oder Leinwand eher aggressiv zu. Die Verteilung auf die beiden Institute sieht so aus: In Bochum werden Zeichnungen und die bis zu 4 mal 4 Meter großen Bilder präsentiert, in Gelsenkirchen wird besonders das aktuelle Werk berücksichtigt. Die Übersicht umfaßt insgesamt mehr als 100 Objekte.


HANS-JÖRG LOSKILL
Museum Bochum: bis 30. August, geöffnet die. bis frei. 12
bis 20 Uhr, sa. und so. 10 bis 18 Uhr. Gelsenkirchen-Buer:
ebenfalls bis 30. August, geöffnet die. bis so. 11 bis 18 Uhr. Katalog 18 DM


© WAZ/Westdeutsche Allgemeine / Hans-Jörg Loskill

Auf den Säulen der Geschichte Freitag, 10. Juli 1987

Museum Buer: Maler Wilhelm Jaeger


(HJL) Will man eine Richtung in den grossformatigen Arbeiten des Schweizer Malers Wilhelm Jaeger, Jahrgang 1941, nennen, so fällt auf, dass zwei Tendenzen der klassischen Moderne konfliktreich aufeinanderprallen - die konstruktivistische, geometrisch geformte Kunst und die expressive, abstrakte Malerei. Man könnte auch folgern, daß sich Ordnung und Unordnung, Kalkül und Gefühl, Präzision und Willkür begegnen und durchdringen.


Jaeger wird vom Museum in Buer als Endpunkt einer zeitgenössisch ausgerichteten Trilogie gesehen, die sich an bedeutenden Künstlern orientiert: an Emil Schumacher, Karl Marx und an Jaeger als altersmäßig Jüngster dieser Personal-Darstellungen. Bei dem Züricher Künstler wird sowohl die Nähe der Schweizer Konkretisten (Bill, Lohse beispielsweise) wie auch die Verwandtschaft zur neuen „,Heftigkeit" spürbar, die wiederum auf die informelle Malerei zurückgeht. Zusammen mit den Museen, in Mannheim, Bochum, Aargau und Thun kam es bei der Würdigung Jaegers zu einer deutschschweizerischen Ausstellungstournee, die das Werk des in Deutschland noch nicht so bekannten Künstlers vorstellt: im Rückblick auf die vergangenen 15 Jahre. Gelsenkirchen präsentiert vornehmlich die zuletzt entstandenen Bildserien ("Die Ruinen des goldenen Hauses des Nero", „Grenzbereiche", "Ortsbestimmung"). Als ich die ersten Bilder Jaegers sah, wurde ich an die Thermen im türkischen Pamukkale erinnert: dort schwimmt man im warmen Wasser über den Bruchstücken der Antike - über Säulenfragmenten, Friesblöcken, Steinen. Auch bei ihm findet dieses „Bad' in Meeresfarben und Geschichtszitaten statt. In den neuen „Ortsbestimmungen" blickt er aus der Vogelperspektive auf bizarre, kantige, tief ausgelotete Landschaften - eine rassige, temperamentvolle Malerei ist es immer. (Eröffnung 12.7., 11.30 Uhr)


© WAZ / Nummer 158

Querschnitt des Museums Samstag, 11. Juli 1987

Zu den Sommerferien hat das Museum Bochum drei Ausstellungen zusammengestellt, die ganz die Schwerpunkte des Hauses -  die Verbindungen zur Sowjetunion und der Schweiz repräsentieren. Von Samstag bis zum 30. August sind in den Räumen zu sehen: Boris Birger Portraits, Interieurs, Landschaften", "Vladimir Zakrzewski - Gemälde und Zeichnungen" und „Wilhelm Jaeger". Die Malerei des 1941 geborenen Schweizer Malers Wilhelm Jaeger  verbindet informelle Grundstrukturen mit kräftigen tektonischen Bildelementen. Die Ausstellung zeigt Werke der letzten zehn Jahre. 


© Lokalnachrichten / Ruhr-Nachrichten

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