Wilhelm Jaeger

Farbenlehre

Wilhelm Jaegers Beobachtungen zu den 7 Kontrasten:

Farbe-an-sich-Kontrast:

Der Farbe-an-sich-Kontrast ist der einfachste der sieben Farbkontraste.

Er stellt an das Farben-Sehen keine grossen Ansprüche, weil zu seiner Darstellung alle Farben ungetrübt in ihrer stärksten Leuchtkraft verwendet werden können.

Gelb, Rot, Blau ergibt den stärksten Ausdruck des Farbe-an-sich-Kontrastes. Zu seiner Darstellung sind mindestens drei klar voneinander abstehende Farben notwendig. Die Wirkung ist immer bunt, laut, kraftvoll und entschieden. Die Stärke der Farbe-an-sich-Kontrast-Wirkung nimmt ab, je mehr sich die verwendeten Farben von den drei Farben erster Ordnung entfernen.

So sind die Farben Orange, Grün, Violett, schwächer in ihrem Charakter als Gelb, Rot, Blau. Die Wirkung der Farben dritter Ordnung ist noch undeutlicher. Eine grosse Zahl von völlig neuen Ausdruckswerten erhält der Farbe-an-sich-Kontrast durch Veränderung der Hell-Dunkel-Werte.

Ausserdem können die Mengenverhältnisse der Farben verschoben werden.

Die Zahl der Variationen ist sehr gross, und dementsprechend sind auch die Möglichkeiten des unterschiedlichen Ausdrucks. Ob Schwarz und Weiss als wichtige, quantitativ grössere oder kleinere Farbflächen in den Gesamtklang als Farben einbezogen werden, hängt vom Thema und vom persönlichen Geschmack ab.

Sehr interessante Lösungen ergeben sich, wenn man eine Farbe als Hauptfarbe betont und die anderen in geringen Quantitäten nur als Akzente beifügt.

Buntes Leben aus urtümlich leuchtender Kraft ist der Ausdruck des Farbe-an-sich-Kontrastes.

Der Hell-Dunkel-Kontrast

Licht und Finsternis, Hell und Dunkel, als polare Kontraste sind für das menschliche Leben und die ganze Natur von grosser, grundlegender Bedeutung. Für den schöpferischen Menschen sind die Farben Weiss und Schwarz das stärkste Ausdrucksmittel für Hell und Dunkel. Schwarz und Weiss sind in ihren Wirkungen in jeder Hinsicht entgegengesetzt, zwischen beiden liegt das Reich der Grautöne und der Farben. Es gibt nur ein maximales Schwarz und ein maximales Weiss, aber eine ungewöhnlich grosse Zahl von hellen und dunklen Grautönen.

Wir haben gesehen, dass Hell-Dunkel-Klänge aus den sogenannten Nicht-Farben Weiss, Grau und Schwarz gestaltet werden können. Eine Hell-Dunkel-Kombination kann aber auch aus einer einzigen Farbe mit verschiedenen Tonwerten entwickelt werden. Z.B. Rosa-Rot-Dunkelrot oder Hellblau-Blau-Dunkelblau usw. Ein Problem liegt darin, dass sich die Hell-Dunkel-Werte der reinen Farben ändern, je nach der Beleuchtungsintensität. Rot, Orange und Gelb wirken dunkler bei abnehmendem Licht, Blau und Grün erscheinen heller.

Von grösster Wichtigkeit ist es, dass man Farben gleicher Helligkeit oder Dunkelheit genau unterscheiden kann. Man verwechsle dabei nicht die Leuchtkraft oder Reinheit der Farbe mit ihrer Helligkeit. Man muss anerkennen, dass das leuchtende Gelb sehr hell ist, und dass kein dunkles, leuchtendes Gelb zu finden ist. Das charaktervolle Blau ist sehr dunkel, und ein Hellblau wirkt blass und ohne Leuchtkraft. Rot kann nur als leuchtende Farbe seine bedeutsame Leuchtkraft ausstrahlen, ein aufgehelltes Rot von der Tonstufe eines reinen Gelb hat keine Strahlkraft mehr. Der Gestalter muss in seinen Arbeiten diesen Tatsachen Rechnung tragen. Wenn ein gesättigtes Gelb den Hauptausdruck geben soll, wird die Arbeit im allgemeinen einen hellen Gesamtcharakter annehmen, während ein gesättigtes Rot oder Blau einen dunklen Gesamtausdruck verlangt.

Der Komplementär-Kontrast

Zwei Farben, die zusammengemischt ein neutrales Grauschwarz ergeben, bezeichnen wir als komplementäre Farben. Zwei komplementäre Farben sind ein seltsames Paar. Sie sind entgegengesetzt, fordern sich gegenseitig, steigern sich zu höchster Leuchtkraft im Nebeneinander und vernichten sich in der Mischung zu Grau - wie Feuer und Wasser. Es gibt immer nur eine einzige Farbe, die zu einer andern Farbe komplementär ist. In unserem Farbkreis stehen die komplementären Farben diametral einander gegenüber.

Komplementäre Farbenpaare sind beispielsweise:

- Gelb-Violett

- Blau-Orange

- Rot-Grün

Wenn wir diese komplementären Farbenpaare zerlegen, machen wir die Feststellung, dass immer die drei Grundfarben, Gelb, Rot, Blau, in ihnen enthalten sind, nämlich:

- Gelb : Violett = Gelb : Rot und Blau

- Blau : Orange = Blau : Gelb und Rot

- Rot : Grün = Rot : Gelb und Blau

Durch die merkwürdige und bis heute unerklärbare Tatsache ist erwiesen, dass unser Auge zu einer gegebenen Farbe ihre komplementäre Ergänzung fordert und sie selbsttätig erzeugt, wenn sie nicht gegeben ist. Das Komplementärgesetz ist die Grundlage harmonischer Gestaltung, weil durch seine Erfüllung ein vollkommenes Gleichgewicht im Auge hergestellt wird. Komplementäre Farben, in den richtigen Mengenverhältnissen verwendet, ergeben ein statisch festes Wirkungsbild.

Der Kalt-Warm-Kontrast

Es mag befremden, aus dem optischen Empfindungsbereich der Farben eine Temperaturempfindung ablesen zu wollen. Versuche haben ergeben, dass in zwei Arbeitsräumen, von denen der eine blaugrün und der andere rotorange gestrichen war, die Empfindung für Kälte oder Wärme um drei bis vier Grad differierte. Rotorange und Blaugrün sind die beiden Pole des Kalt-Warm-Kontrastes. Rotorange ist die wärmste und Blaugrün die kälteste Farbe. Die Farben Gelb, Gelborange, Orange, Rotorange, Rot und Rotviolett werde als warme, und Gelbgrün, Grün, Blaugrün, Blau, Blauviolett und Violett als kalte Farben bezeichnet. Den Charakter der kalten und warmen Farben können wir noch auf andere Weise definieren:

- kalt-warm

- schattig-sonnig

- durchsichtig-undurchsichtig

- beruhigend-erregend

- dünn-dicht

- luftig-erdig

- fern-nah

- leicht-schwer

- feucht-trocken

Diese verschiedenen Wirkungsweisen zeigen die grossen Möglichkeiten des Kalt-Warm-Kontrastes. Er erzeugt eine Atmosphäre von musikalisch klingendem, unwirklichem Charakter. Für alle Farben ist eine mittlere, gleiche Helligkeit am günstigsten.

Der Qualitäts-Kontrast

Unter dem Begriff der Farbqualität verstehen wir den Reinheits-oder Sättigungsgrad der Farben. Als Qualitäts-Kontrast bezeichnen wir den Gegensatz von gesättigten, leuchtenden Farben, zu stumpfen, getrübten Farben. Die Wirkung des Kontrastes "stumpf-leuchtend" ist relativ. Eine Farbe kann neben einem stumpfen Ton leuchtend erscheinen und neben einem leuchtenderen Farbton stumpfen Charakter annehmen. Für das Verständnis des Qualitäts-Kontrastes ist es notwendig, den Hell-Dunkel-Kontrast auszuschalten, es müssen also gleiche Helligkeiten für alle Farben gegeben werden.

Wenn wir den reinen Qualitäts-Kontrast ohne einen andern Kontrast in einer Arbeit zum Ausdruck bringen wollen, so muss die stumpfe Farbe aus der gleichen Farbe gemischt sein wie die leuchtende, d.h. leuchtendes Rot muss in stumpfem Rot, leuchtendes Blau in stumpfem Blau stehen. Es darf also nicht leuchtendes Rot in stumpfem Blau oder leuchtendes Grün in stumpfem Rot stehen. Stumpfe Farbtöne leben von der Kraft der leuchtenden, sie umgebenden Farben. Für bestimmte Aufgaben sind aber auch freie Verbindungen von leuchtenden mit stumpfen Farben, bei gleicher Helligkeit allerdings, geeignet. Wobei man beobachten kann, dass Grautöne oder Beigetöne die Leuchtkraft starker Farben zu richtiger Wirkung neutralisiert. Die leuchtenden Farben wirken, als würden sie ein inneres Leuchten ausstrahlen.

Der Quantitäts-Kontrast

Der Quantitäts-Kontrast bezieht sich auf das Grössenverhältnis von zwei oder mehreren Farbflecken. Er ist also der Gegensatz "viel-wenig" oder "gross-klein".

Farben können in beliebigen Grössen zueinander komponiert werden. Wir müssen uns aber fragen, welches jenes Grössenverhältnis zwischen zwei oder mehreren Farben ist, von dem wir sagen können, dass es gleichgewichtig ist, dass keine der verwendeten Farben mehr hervortritt als die andere. Zwei Faktoren bestimmen die Wirkungskraft einer Farbe. Erstens ihre Leuchtkraft und zweitens ihre Grösse. Wenn man in einer farbigen Arbeit andere Mengenverhältnisse gibt als die harmonischen, wenn also eine Farbe dominiert, erzielt man eine ausdrucksstarke Wirkung. Das heisst, die in die Minderheit versetzte Farbe, die sozusagen in Not geraten ist, wehrt sich und wirkt relativ leuchtender als wenn sie in harmonischer Menge vorhanden wäre. Der Quantitäts-Kontrast ist im eigentlichen Sinn ein Proportionskontrast. Das Beachten und Abstimmen der farbigen Flächengrössen in einer Arbeit ist mindestens so wichtig, wie die Auswahl der Farben selbst. Die Beachtung dieser Regel ist besonders wichtig für die richtige Bestimmung der Farbmengen.

Beispiel:

Will sich ein gelber Fleck zwischen hellen Farbtönen behaupten, so muss er eine grössere Ausdehnung haben, als wenn dasselbe Gelb vor dunklen Tönen stehen würde. Zu den dunklen Farben muss ein kleiner gelber Fleck gegeben werden, weil seine Helligkeit hier stark zur Wirkung kommen kann. Die Werte oder Flächenausdehnungen der komplementären Farbenpaare lauten:

Gelb : Violett = 1 : 3

Orange : Blau = 1 : 2

Rot : Grün = 1: 1

Das dreimal stärkere Gelb muss also eine dreimal kleinere Fläche einnehmen als das komplementäre Violett. Die hier dargestellten Mengenverhältnisse gelten nur, wenn alle Farben in ihrer höchsten Leuchtkraft verwendet werden.

Text: Wilhelm Jaeger / Farbenlehre

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